Wer bin ich? – Frag doch die anderen!
Die Komplexität des modernen Lebens in der Industriegesellschaft ist offenbar schwer zu ertragen.
Vielen Menschen fällt es zunehmend schwer, klare Positionen zu beziehen und eine Meinung zu äußern. Kopfnicken und Achselzucken sind gesellschaftsfähig.
Kaufen wir doch am besten das, wofür sich andere auch schon entschieden haben – Amazon verdient mit dem Konzept entsprechender Empfehlungen Millionen.
Das System wird im Online-Kommerz per Cookie immer weiter perfektioniert – wer sich Schuhe angesehen hat, wird mit weiteren Schuhen werblich überschüttet.
Das wird mit dem Abhörgerät „Alexa“ gerade auf die Spitze getrieben: Konsumenten werden unter dem Vorwand der individuellen Wunscherfüllung ausgespäht und dann gezielt mit einschlägigem üblichen Konsumgetrödel für teures Geld zugemüllt.
Folge ist ein gesellschaftlich zum Mainstream gewordenes, starkes aber nur scheinbar zur Zufriedenheit führendes Harmoniestreben und das Bedürfnis „dazuzugehören“.
Du bist Teil einer großen, glücklichen Community! Bloß nicht auffallen!
Warum sind wir so empfänglich dafür?
Quelle des Phänomens könnte eine gestörte Identität bei immer mehr Menschen sein – vor lauter fertig zugeschnittenen Realitätserklärungen wird eine eigene Identifikation mit Werten und Vorstellungen gar nicht mehr erforderlich. Ich will etwas Besonderes sein und hänge in Wahrheit fest in der Beliebigkeit. Hinzu kommt vermutlich die Überforderung damit, im Alltag immer wieder eine Vielzahl von verschiedenen Identitäten annehmen zu müssen. Wer will schon den ganzen Tag über Positionen beziehen und Entscheidungen fällen? Kein Wunder, dass die derzeitige Trendfarbe ein undifferenziertes GRAU ist.
Eine Strategie zur Verminderung der offenbar unerträglichen Vielfältigkeit im Alltag scheint es zu sein, sich an der Vorstellung von Außen zu orientieren. Die Gruppenbildung erfolgt jedoch oft nicht aus persönlicher Zuwendung, sondern in der Annahme von Stereotypen – wenn etwa der Kleidungsstil und die Auswahl von Konsumgegenständen nach den Vorgaben der Werbung, der Nachbarschaft oder des „Mainstream“ erfolgt.
Nur nicht auffallen! Es ist bequem, mit den Vorstellungen einer Gruppe mitzuschwimmen. Es erfordert weniger Kraft, als immer wieder über die eigenen Vorstellungen nachdenken und diskutieren zu müssen.
Unternehmen und Werbung nutzen dieses Phänomen und uniformieren die Massen: Gleiche Kleidung, gleiche Autos, gleiches Essen, gleiche Hobbys. Werbung nutzt die psychologischen Zusammenhänge und bietet Waren als Ersatz für individuell gestaltete Lebensumgebungen an. Tatsächlich ist es viel leichter, vorgefertigte Konsumgüter zu kaufen als eine eigene Lebenswirklichkeit zu entwickeln und zu verteidigen.
Warum kaufe ich den Grill von Wxxxx? Weil die Nachbarn auch einen haben. Amazon hat auch dafür ein Erfolgsrezept: „Andere Kunden kauften auch xxx“. Wir richten unsere Umgebung mit Trödel ein, den uns Maschinen empfehlen.
Kulturelle Identität geht so zunehmend verloren, die eigene Definition erfolgt über Zugehörigkeitssymbole aus der kapitalistischen Warenwelt wie zum Beispiel das Handy, das „richtige“ Auto und andere Konsumgüter – neuerdings sogar Küchengeräte wie den Heißquirler (Name geändert). Offenbar ist vielen Menschen nicht mehr deutlich, für welche Werte sie stehen wollen und wofür sie sich einsetzen wollen. Konsequenterweise verweigern sie denn auch gleich jede abweichende Meinungsäußerung und setzen sich auch für gar nichts mehr ein. Hinzu kommt eventuell eine stärkere Beeinflussung durch mediale Einflüsse und Werbung – Werbung setzt die Standards für soziale Gruppen, indem sie anzustrebende Konsumwerte etabliert. Lobbyisten entscheiden, wie unser Leben verlaufen soll.
Das kann auch gefährlich werden: Wer unsicher ist, was zu tun ist, schaut sich danach um, was die anderen tun. Wenn die auch nicht wissen, was zu tun ist, tut niemand etwas. Diese sogenannte pluralistische Ignoranz ist im Verein mit Verantwortungsdiffusion („Warum soll ich helfen, wenn es auch andere tun können?“) der häufigste Grund für unterlassene Hilfeleistung in Gruppen.
Mainstream wird kurioserweise auch in der Hierarchie der Unternehmen honoriert. Innovationen sind zwangsläufig fehlerbehaftet – doch Fehler kosten Geld und müssen daher möglichst vermieden werden. Die Folge: Man macht alles so wie immer – bis ins Scheitern hinein.
Und so sind Führungspersonen, vor allem im mittleren Management, oft Zauderer und Vertager, wollen neue Wege nicht in eigener Verantwortung ausprobieren. Oft werden Entscheidungen dann verlagert: Die Zauderer verlangen Veränderungen von anderen, um das eigene Verhalten abzusichern. So müssen Zulieferer und Dienstleister neue Ideen liefern, gleichzeitig mehr Risiken übernehmen und werden dafür auch gleich noch immer schlechter entlohnt. Echte Neuerungen können auf diesem Weg freilich nicht zustande kommen. Ein ständiges Gerede von „Diversität“, „Innovation“ und „Zukunft“ soll darüber hinwegtäuschen, wie konservativ der einmal eingeschlagene Weg mit wandgroßen Scheuklappen verfolgt wird.
Von diesem Phänomen profitieren auch Politiker: Eine Auseinandersetzung mit Inhalten ist schon seit einigen Wahlperioden weder von den Wahlberechtigten gefordert, noch wird sie von den großen Parteien angeboten. Es genügt, Floskeln zu verbreiten – etwa die Phrasen „soziale Gerechtigkeit“, „klimaschonend“, „gut für xxx“– und besonders erfolgreich der Klassiker „Arbeitsplätze“. Für Details interessiert sich sowieso niemand. Am besten ist es, „bewährte“ Kräfte einfach wiederzuwählen: Sicher ist sicher, und die Mehrheit wird schon richtig liegen. Davon profitieren clevere Macht-Taktiker wie einst Kohl und Merkel. Scholz wird diese Stärke sicher weiter ausbauen.
Selbst für frustrierte und Gescheiterte gibt es eine Mainstream-Alternativlösung, sozusagen eine Alternative für Doofe. Deren leider meist anzutreffende Nazi-Inhalte bleiben für die Wähler praktisch „unentdeckt“, weil sich auch hier niemand für die Inhalte wirklich interessiert: Hauptsache dagegen, dann sind die Wähler schon zufrieden. Und Hauptsache, die bewährte Bequemlichkeit wird nicht gefährdet – zwar ist der Klimawandel inzwischen ebenfalls in der Mainstream-Welt angekommen, aber sein Leben wird man ja wohl deshalb nicht gleich umstellen müssen.
Trauen Sie sich aus dieser grau gepflasterten Welt heraus! Trauen Sie sich, jeden Tag etwas Neues zu entdecken! Das Leben ist vielfältig und lässt sich nicht auf der Couch im Fernsehen oder im Auto erleben. Ich bin nicht schwarz oder weiß, ich bin nicht grau, männlich oder weiblich und will auch nicht das machen, was die anderen machen. Ich will, dass unsere Kinder und Enkel noch eine lebenswerte Zukunft haben. Deshalb will ich, dass wir unsere eingefahrenen Wege verlassen und unsere schlechten Konsumgewohnheiten ändern.
Wer bin ich? – Finde es selbst heraus!