Peter Carla

Persönliche Information und Meinung

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist die Geschichte beispielloser technischer Entwicklungen. Schade nur, dass dieser technische Aufstieg des Menschen ganz zentral auf einem Irrtum beruhte: Der Erwartung, die Ressourcen auf der Erde seien unendlich.

Die Technikgläubigkeit führte insbesondere auf einen den Alltag in extremer Weise beeinflussenden, verhängnisvollen Irrweg: Nach einer sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts immer weiter verfestigenden Meinung von Entwicklern einer rollenden Energieverbrauchsmaschine – genannt Automobil – sollte sich der moderne Mensch nur noch in einem mit Blech verkleideten Sessel fortbewegen. Die Folge: Wenn wir heute aus dem Fenster sehen, sind mehr Autos als Menschen zu sehen. Das nehmen wir nur nicht als Horror wahr, weil wir uns von Jugend an diesen Irrsinn gewöhnt haben. Die angebliche zentrale Errungenschaft des 20 Jahrhunderts ist zum Fluch des 21. Jahrhunderts geworden. Es verpestet unsere Welt, hat zur Versiegelung riesiger Flächen geführt, verbraucht gigantische Mengen Rohstoffe und fossiler Energien, beherrscht unseren Alltag und blockiert die Freiheit, uns in unserer Umgebung unbeschwert zu bewegen. Das Auto ist die Terror-Maschine der modernen Welt, sie fordert täglich Menschenleben, zerstört unsere Umgebung und frisst unsere Lebensgrundlagen. Und das gilt nicht nur in Deutschland und Europa: Weltweit gehen Metropolen im Auto-Wahnsinn unter – und das seit Jahrzehnten.

Wie kann es sein, dass diese gefräßige Maschine von den Menschen bis heute geliebt und gefeiert wird? Wie kommt es, dass die Menschen ihr ganzes Geld dafür verwenden, immer neue und größere Autos zu kaufen? Wie kann es sein, das diese Bewegungsmaschine noch immer im großen Stil mit Verbrennungsmotor (rund 70 % der Energie verpuffen als Wärme) hergestellt wird?

Das Auto ist längst zum goldenen Kalb geworden. Es wird als Quelle der Freiheit gepriesen, sich individuell jederzeit bewegen zu können – als seien uns die Beine amputiert worden. Die Beschränkungen, die wir in unserer Lebenswirklichkeit durch das Auto jeden Tag erleben müssen – Gestank, zugestellte Straßen und die Gefahr, jederzeit angefahren und getötet werden zu können – werden dabei völlig ausgeblendet.

Auch von der Politik wird das Auto nicht in Frage gestellt – trotz der übermächtigen Gefahren und des absolut inakzeptablen Verbrauchs an Rohstoffen und Platz und trotz gigantischer Folgekosten. Denn eine der mächtigsten Interessengruppen der Welt treibt die Verbreitung des Autos weiter voran. Die Autoindustrie wird dabei unterstützt von ihren Zulieferern und Dienstleistern. Und von der Politik, die alle Alternativen ganz offen benachteiligt und schlechtredet. Nich einmal ein Tempolimit ist in Deutschland durchsetzbar.

Fast 400 Millionen Euro Umsatz macht die Automobilindustrie allein in Deutschland jährlich. Allein der Hersteller VW verkauft jährlich über 600 Tausend Autos, weltweit werden pro Jahr fast 100 Millionen Fahrzeuge hergestellt (die meisten davon mittlerweile übrigens in China). Über eine Milliarde Fahrzeuge fahren auf der Erde umher – und stehen die übrigen Zeit nutzlos in der Gegend rum.

Daraus resultiert eine extrem große Wirtschaftsmacht der Hersteller, die diese systematisch und völlig bedenkenlos bis in die Kriminalität hinein zur politischen Einflussnahme ausnutzen. Allein die Anzahl der Beschäftigten (mehr als 800 000 in Deutschland) ist ein profundes Druckmittel, um jede das Auto einschränkende Politik im Keim zu ersticken. Kein Wunder, das in Deutschland sogar der Verkehrsminister selbst quasi zur Lobby gehört. – und das sogar in einer Regierung, in der die Grünen mitregieren.

Das penetrante Geschrei der Lobbyisten täuscht jedoch über aktuelle Fakten hinweg: Tatsächlich könnte die Vorherrschaft des Autos gebrochen werden – und natürlich hätte sie niemals so stark werden dürfen, dass sie die Demokratie gefährdet. Denn der tatsächliche Bedarf an Mobilität ist viel geringer als derzeit von einem mächtigen Werbedruck suggeriert wird. In Ballungsräumen könnte das Auto durch andere, schonendere Verkehrsmittel ersetzt werden. Das würde – entgegen der Propaganda der Interessengruppe – zu deutlich mehr Lebensqualität und erheblich weniger Umweltbelastung führen. Zunehmen würde außerdem die gesamtgesellschaftliche Gesundheit, denn es würden gerade in Innenstädten weniger Abgase freigesetzt, Fahrradfahrer und Fußgänger könnten sich sicherer bewegen und der Nahverkehr mit weniger als fünf Kilometern Entfernung könnte fast vollständig auf das in diesem Bereich völlig ineffiziente Auto verzichten. Parkflächen könnten begrünt und Straßen für die Außengastronomie freigegeben werden. Die Niederlande und neuerdings auch Frankreich machen es vor.

Das Auto können wir weiterhin gut gebrauchen: Außerhalb der Städte, zum Transport in abgelegenere Orte und Ortsteile – aber dann bitte ohne Verbrennungsmotor und gewichtsoptimiert.

(Januar 2022)

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