Peter Carla

Persönliche Information und Meinung

Seit dem Februar 2020 bin ich mir bewusst, eine nicht binäre Person zu sein (was ist das? Mehr dazu hier).

Die Erkenntnis darüber war für mich selbst eine ziemliche Überraschung und fühlt sich noch heute so an, als ob einige Zahnräder seit diesem Zeitpunkt besser ineinander greifen würden und es in meinem Inneren fortan viel weniger Reibung gab.

Im Nachhinein frage ich mich, warum ich zuvor eigentlich nie nach den Gründen geforscht hatte, die zu meiner inneren Unsicherheit und Undefiniertheit führten. Warum hat das solange gedauert? Es war doch für mich schon immer irgendwie spürbar, dass ich „komisch“ bin.

Dafür gibt es unter anderem diese Gründe:

  1. Ich bin in einer fürsorglichen Familie aufgewachsen und vor allem auch als Jugendlicher in einem sehr harmonischen und rücksichtsvollen Freundeskreis, sodass ein wirklicher „Leidensdruck“ über lange Jahre nicht aufkam. Mir ging es quasi gut genug, um nichts in Frage zu stellen. Zudem war es nicht nötig, mich als „Mann zu beweisen“ oder eine besonders männliche Rolle zu besetzen. Danke dafür!
  2. Ich kannte es ja nicht anders. Meine entsprechende Unvollkommenheit war mir nicht bewusst und ich hielt meine Unsicherheit für normal und unvermeidlich. Ich war es zum Beispiel gewohnt, bei „Männergesprächen“ auf eine unbestimmte Art außen vor zu bleiben und mich für viele Belange in diesen typisch männlichen Selbstvergewisserungen einfach nicht zu interessieren. Ich hielt das aber durchaus für meinen eigenen Fehler oder eine Art Schwäche.
  3. Für mich war undenkbar, dass ich zu der in meinem Elternhaus mit Verachtung betrachteten Gruppe der „Transsexuellen“ gehören könnte – andere Begriffe und differenziertere Beschreibungen waren mir damals unbekannt. Kam das Gespräch überhaupt auf dieses Thema, wurde diese Gruppe von Menschen mit allen denkbaren Vorurteilen als nahezu abartig und fehlgeleitet – auf jeden Fall aber „nicht normal“ und bemitleidenswert – dargestellt. Dabei ist es genau das, was mich bewegt: Ich bin in wesentlichen Belangen meiner Existenz gar kein Mann. Allerdings würde ich den Begriff „transsexuell“ dennoch nicht für mich verwenden, da er binär besetzt ist und eher abwertend und diskriminierend verwendet wird. Sehr wohl fühle ich mich aber zu trans Personen zugehörig und würde mich als Transgender bezeichnen.

Fazit: Egal, was Ihr denkt: Ich bin normal!

Im Sommerurlaub 2022 am Wentowsee

Wie das ist, dieses „Normal“, weiß ich allerdings noch nicht genau – auch nach gut zwei Jahren noch nicht. Denn in meiner Umgebung gibt es ja keine Referenz für Menschen, die sich nicht ausschließlich eines der beiden Geschlechter zuordnen oder sich dazwischen verorten. Die einzigen Menschen dieser Gruppe habe ich inzwischen in einer Gesprächsgruppe „Mein Geschlecht“ kennengelernt, die sich einmal im Monat in einem Videochat trifft – die Teilnehmer*innen kommen aus einem weiten Umkreis zwischen Köln und dem Ruhrgebiet.

Mein „Normal“ ist es inzwischen, an allen „nicht-Foto“-Tagen in meiner journalistischen Redaktion (ich bin dort Redakteur, aber immer wieder auch Fotomodel) Nagellack und Schmuck zu tragen, da ich zwar in meiner Redaktion Out bin, dies aber auf Wunsch meiner Chefredaktion unseren Leser*innen nicht offenbaren soll. Ich bin also gewissermaßen in meiner beruflichen Rolle zum Schauspieler meiner selbst geworden und zeige mich in der medialen Öffentlichkeit als CIS-Mann*, der ich nicht (mehr) bin. An dieser offiziell ausschließlich männlichen Präsenz etwas zu ändern, gehört allerdings derzeit nicht zu meinem präferierten Ziel – und so spare ich die Energie auch für andere und mir derzeit wichtigere Dinge.

Mit meiner Außenwirkung in der Öffentlichkeit bin ich nach wie vor etwas vorsichtig, um nicht enttäuscht oder demotiviert zu werden. Denn bislang waren alle Gespräche zu diesem Thema gegen meine Erwartungen durchweg positiv und bereichernd – in den meisten Fällen wird meine „bunte“ Erscheinung aber auch gar nicht (für mich erlebbar) thematisiert. Zwar habe ich mir „weibliche“ Kleidung gekauft (das ist ja eigentlich Unsinn, weil Kleidung so wenig binär sein kann wie Menschen), doch trage ich zunächst die Stücke, die wenig auffällig sind (Jeans, Jacken). Meinen Kilt habe ich im Urlaub schon ganz normal getragen, ohne besonderes Aufhebens zu erwecken – meinen Rock habe ich „draußen“ aber noch nicht angehabt, obwohl ich das ebenfalls als mein „Normal“ ansehen würde. Andererseits habe ich mit meinem allmählichen Ausweiten von Aufmerksamkeit auch gute Erfahrungen gemacht – meine Familie reagierte bisher positiv, lehnt aber deutlichere und abrupte Stilveränderungen stets zumindest zuerst rundweg ab. Vielleicht bräuchte ich da auch eine Art „Modeberatung“ – aber wo sollte die herkommen?

Mit meiner Frau Susanne kann ich das Thema aber gut besprechen und diskutieren. Wir sind uns einig, dass Diversität zur Normalität werden muss, damit sich die Gesellschaft allmählich an die Vielfalt gewöhnen kann. Das begreife ich ganz persönlich als Motivation, weiter am Ausleben meiner „Normalität“ zu arbeiten. Auch nach gut zwei Jahren bleibt da noch eine lange Wegstrecke, um mehr Selbstbewusstsein dafür zu gewinnen. Aber aus dem bislang Erreichten ziehe ich schon sehr viel Zufriedenheit und innere Sicherheit, die ich früher nicht kannte.

Noch immer weiß ich nicht genau, wie weit meine „innere Frau“ eigentlich geht und wie stark sie mich in Zukunft mitbestimmt. Stärker jedenfalls, als zuerst gedacht. Denn erst allmählich wird mir klar, wie stark die von vornherein männliche Prägung von außen meine Vorstellungen, meine Selbstwahrnehmung und meine Prägung mein Leben lang dominiert haben. Ich habe mir vorgenommen, künftig auf die Stimme meiner Weiblichkeit mehr zu hören und weibliche Eigenheiten zuzulassen – auch das ist Teil meiner „Normalität“, die von Dritten naheliegenderweise als ungewohnt und vielleicht auch störend wahrgenommen wird. Ich setzte auf den Effekt der Gewöhnung.

Insofern beschäftigt mich natürlich ganz besonders die Frage, die ja auch von Psycholog*innen nach wie vor kontrovers diskutiert wird: Was ist angeboren und was erlernt? Wie stark werden wir von unserer Geschlechter-Rolle von außen geprägt und durch die „selbstverständliche“ Teilung aller Lebensbereiche in männlich und weiblich bestimmt? Fakt ist: Obwohl ich von Anfang an ganz „selbstverständlich“ ein Mann war und stets in die entsprechenden Rollenbilder gedrängt wurde, gibt es viele Erinnerungen, in denen ich diesem Bild dennoch nicht entsprochen habe oder mich zumindest in einigen Belangen für weiblich definierte Inhalte und Zusammenhänge interessiert habe. Zugegebenermaßen war ich dabei allerdings schon damals ein Außenseiter und habe mich dann oft „falsch“ gefühlt. Das ist in der Rückschau spannend – gibt mir aber auch Kraft für meine neue „Normalität“, denn ich weiß: Das habe ich auch damals auch schon unbewusst so gemacht – da gibt es mehr oder weniger zugewachsene Pfade, die ich auch heute wieder einschlagen und beschreiten kann.

Tatsache ist: Das heute extrem stark binär geprägte Geschlechterbild entspricht nicht der Realität – ich bin also keineswegs allein oder unnormal. Denn gerade in der Vielfalt steckt die Stärke der biologischen und damit auch menschlichen Weiterentwicklung. Die Überwindung digitaler Rollenbilder ist damit Teil der Normalität und des Fortschritts in unserer Welt. Mehr dazu zum Beispiel von dem Evolutionsbiologen Dr. Diethard Tautz (Link zum ZDF). Allerdings ist das Geschlechterthema alles andere als unumstritten – mehr zur Debatte in einer Kolumne von Sascha Lobo (Link zum SPIEGEL).

(Juli 2022)


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